Die Opfer von Jack the Ripper
Alle sprechen von Jack the Ripper. Viel weniger ist über seine Opfer bekannt. Von den Morden, die Jack the Ripper zugeschrieben werden, gibt es fünf, bei denen die Experten sicher sind, dass er der Täter ist. Man nennt sie die kanonischen fünf. Wer waren diese Frauen?
Mary Ann Nichols, 31. August 1888
Als erste traf es Mary Ann Nichols, oder Polly, wie sie für gewöhnlich genannt wurde. Eigentlich war sie verheiratet, Mutter von fünf Kindern und lebte mit ihrem Mann im eigenen, kleinen Haus. Aber vor sieben Jahren zerbrach die Ehe aufgrund ihrer Trunksucht. Sie landete auf der Strasse. Obwohl weder hübsch noch jung, musste sie sich ihr Geld auf dem Strich verdienen. Jede Nacht bot sie sich für ein paar Münzen an, die sie für eine Schlafstätte brauchte, aber meist vertrank sie die Einnahmen sofort wieder. So auch an diesem 31. August. Noch um drei Uhr früh suchte sie nach einem Freier. Zum letzten Mal. Zwei Arbeiter fanden ihren Leichnam mit hochgezogenem Rock am Boden auf der Buck’s Road im Slumviertel von Whitechapel. Jack the Ripper hatte ihr die Kehle durchgeschnitten.
Annie Chapman, 8. September 1888
Ganz ähnlich das Schicksal von Annie Chapman, die alle nur Dark Annie nannten. Auch sie war eine Mutter, auch sie trank, auch ihre Ehe zerbrach. Krank und mittellos landete sie in Londons Slum. Nicht einmal ihre Kinder konnten ihr helfen: eine Tochter starb früh, eine andere verschwand in einer Anstalt in Frankreich und der Sohn blieb sein Leben lang in einem Heim für Behinderte. Also musst sich Dark Annie das Nötigste auf der Strasse verdienen. Viel Glück hatte sie dabei nicht, auch nicht an diesem 8. September. Noch um fünf Uhr dreissig hörte eine Zeugin sie mit einem Mann flüstern: «Willst du?». Kurz danach trat ein Bewohner in den Hinterhof an der Hanbury Street und fand den toten Körper. Er rannte sofort los, um Hilfe zu holen. Die kam zu spät. Mit einem Messer hatte Jack the Ripper ihr die Kehle durchgeschnitten und sie in Gesicht und Unterleib verstümmelt.
Elizabeth Stride, 30. September 1888
Alle kannten sie als Long Lizzie. Als junge Frau zog sie von Schweden nach London. Die Ehe mit einem Zimmermann hielt nur kurz. Auch hier spielte Trunksucht die Hauptrolle. Long Lizzie verdingte sich als Putzfrau und Näherin, aber das reichte nie und sie musste sich nachts auf den Strassen anbieten. An diesem regnerischen Abend im September hatten Zeugen beobachtet, wie sie gegen Mitternacht in einem Torbogen einen Freier umarmte. Eine Stunde später zog vermutlich ein anderer Mann sie in einen Hinterhof. Sie schien zu protestieren. Keine zwei Minuten danach lenkte Louis Diemschutz seine Karre in den stockfinsteren Hof. Das Pferd scheute und stiess gegen etwas, das er für eine Betrunkene hielt. Er holte Hilfe. Im Schein der Laterne fanden sie Long Lizzie mit durchschnittener Kehle. Sie lag im Sterben. Die Karre hatte offenbar Jack the Ripper vertrieben.
Catherine Eddowes, 30. September 1888
Einige Stunden früher wurde Jack the Ripper vom ersten Tatort vertrieben. Jetzt suchte er nach einem neuen Opfer. Er fand es in Catherine Eddowes. Lange vor ihrer Ermordung lebte sie mit einem Armee-Veteranen zusammen. Die beiden hatten drei gemeinsame Kinder. Immer wenn der Mann seine Pension erhielt, betrank er sich und verprügelte sie. Schliesslich hielt sie es nicht mehr aus, verliess ihn und zog bei John Kelly ein. Von nun an nannte sie sich Kate Kelly. Geld war knapp und sie verdingte sich als Prostituierte. Am 30. September sprach sie laut Zeugen einen Mann an. War es Jack the Ripper? Auf jeden Fall fand ein Polizist rund eine Stunde später ihre Leiche. Bei ihr hatte sich der Mörder furchtbar viel Zeit genommen. Kate Kelly lag mit durchschnittener Kehle in ihrem Blut. Kopf und Unterkörper wurden mit Messerstichen verwüstet. Die Augenlider abgeschnitten. Einige Organe fehlten.
Marie Janette Kelly, 9. November 1888
Im Gegensatz zu den anderen Opfern war Marie Jeanette Kelly jung und hübsch. Und anderes als ihre Vorgängerinnen wurde sie nicht auf der Strasse ermordet, sondern in ihrer Absteige. Viel ist über sie nicht bekannt. Vermutlich stammte sie aus Irland. Mit sechzehn heiratete sie einen Bergarbeiter, der bald danach bei einem Grubenunglück umkam. Eine Zeit lang blieb sie in einem Edelbordell. Später nahm sie sich ein winziges Zimmer an der Dorset Street. Die Miete blieb sie schuldig. Vermutlich starb sie am 9. November gegen vier Uhr früh. Am späten Morgen fand der Mieteintreiber ihre Leiche. Bei Marie Jeanette hatte sich Jack the Ripper noch mehr Zeit gelassen. Sie lag nackt auf dem Bett, ihr Körper verwüstet und buchstäblich ausgeweidet. Organe und Leichenteile hatte der Mörder rund um die tote Frau angeordnet. Die Leber lag zwischen den Füssen, die Eingeweide schlangen sich wie ein Schal um den Hals. Auch hier fehlten Organe.
Wer war Jack the Ripper?
Hat Jack the Ripper nach dem November 1888 noch weiter gemordet? Niemand weiss es. Genauso wie es keine Beweise gibt, um wen es sich bei ihm eigentlich gehandelt hat. Ich bin überzeugt, dass sein richtiger Name Francis Tumblety lautete, ein amerikanischer Quacksalber, der sich in London herumtrieb. Kurz nach dem Mord an Marie Jeanette Kelly floh er nach Frankreich und von dort aus zurück in die Vereinigten Staaten. Allem Anschein nach verkroch er sich bei einer Verwandten und führte ein langes und unauffälliges Leben. Wenigstens nach aussen hin.
Warum ich so sicher bin? Das steht in «Schlimme Zeiten – Der englische Mantel». Es ist die Geschichte von Jan. Verzweifelt versucht er im London von Jack the Ripper zu überleben. Im grössten Slum der Welt, in der reichsten Nation der Erde und in einer der schlimmsten aller schlimmen Zeiten.